Etwas überspitzt formuliert, kann man sagen: Das Mietrecht ist ein Recht für Fallenleger. Vor allem der Vermieter ist meist Opfer des Formalismus. Dies gilt insbesondere bei Kündigungen und Mietzinserhöhungen. Aber es gibt auch Grenzen dieses Formalismus. Zudem wird die Fristwahrung bei einer Kündigungsanfechtung zu Lasten des Mieters sehr streng gehandhabt. Das Bundesgericht hat sich in einem Fall, der den Kanton Waadt betrifft, zu diesen beiden Fragen geäussert (BGE 140 III 244 = Pra 2014 Nr. 95).
Sachverhalt
Mietobjekt ist eine Drei-Zimmerwohnung im ersten Stock eines Hauses, welches im Übrigen von den Vermietern selbst bewohnt wird. Der Mietvertrag wurde zwischen Vermietern und Mieterin am 11. März 2009 unterzeichnet. Der Mietzins belief sich auf monatlich Fr. 1‘300.-.
Mit eingeschriebenem Brief vom 11. Januar 2012 kündigten die Vermieter das Mietverhältnis. Am 12. Januar 2012 wollte die Post die Kündigung zustellen, traf die Mieterin aber nicht an, weshalb der Postbeamte eine Einladung in den Briefkasten der Mieterin legte, mit der Aufforderung, die Sendung ab dem 13. Januar 2012 abzuholen. Am 18. Januar 2012 holte die Mieterin die Kündigung am Postschalter ab. 30 Tage später, nämlich am 17. Februar 2012 wandte sich die Mieterin an die Schlichtungsbehörde und forderte die Ungültigerklärung bzw. die Aufhebung der Kündigung.
Während des Verfahrens wurde von der Mieterin festgestellt, dass die Vermieter wohl das amtliche Formular des Kantons Waadt verwendeten, doch das zwischenzeitlich aufgehobene (Version aus dem Jahr 2007) und nicht das gültige (Version aus dem Jahr 2011). Die Mieterin machte deshalb zusätzlich die Nichtigkeit der Kündigung geltend.
Verwendung des aktuellen amtlichen Formulars
Nach Art. 266 l OR muss der Vermieter mit einem Formular kündigen, das vom Kanton genehmigt ist und das angibt, wie der Mieter vorzugehen hat, wenn er die Kündigung anfechten oder eine Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen will. Ist diese Bedingung nicht eingehalten, ist die Kündigung nach Art. 266 o OR nichtig. Der Inhalt des Formulars wird in Art. 9 VMWG präzisiert. Zweck des Formulars ist es, den Mieter über sein Recht zu informieren, wie er die Kündigung anfechten und/oder die Mieterstreckung verlangen kann. Zu verwenden ist dasjenige Formular, das zum Zeitpunkt der Kündigung in Kraft ist.
Wird ein Formular verwendet, das nicht mehr gültig ist, so führt dies regelmässig zur Nichtigkeit der Kündigung. Grenze bildet aber das Verbot des überspitzten Formalismus. Enthält das alte Formular diejenigen Angaben, die Art. 9 VMWG vorschreibt, so führt dies nicht zur Nichtigkeit der Kündigung, auch wenn ein ausser Kraft gesetztes Formular verwendet wird.
Im vorliegenden Fall enthielt das alte Formular die nach Art. 9 VMWG erforderlichen Informationen. Die Kündigung war deshalb – ausnahmsweise – nicht nichtig.
Einhaltung der Frist von 30 Tagen zur Kündigungsanfechtung
Nach Art. 273 Abs. 1 OR muss der Mieter, der eine Kündigung anfechten will, das Begehren 30 Tage nach Empfang der Kündigung bei der Schlichtungsbehörde einreichen. Bei der Frist von 30 Tagen handelt es sich um eine Verwirkungsfrist. Die Kündigung ist eine Willenserklärung. Sie wird in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie in den Machtbereich des Empfängers, hier der Mieterin, gelangt, so dass dieser bei normaler Organisation seines Geschäftsverkehrs in der Lage ist, von der Willensäusserung Kenntnis zu nehmen. Legt die Post bei einem eingeschriebenen Brief eine Abholungseinladung in der Briefkasten oder das Postfach, so gilt der Brief von dem Zeitpunkt an als zugestellt, in dem der Empfänger in der Lage ist, gemäss der Abholungseinladung im Postbüro davon Kenntnis zu nehmen.
Im vorliegenden Fall hätte die Mieterin am 13. Januar 2012 von der Kündigung Kenntnis nehmen können. Das ist der massgebliche Empfang für die Kündigung. Das Begehren bei der Schlichtungsbehörde hätte deshalb bis spätestens am 12. Februar 2012 eingereicht werden müssen. Die Einreichung erst am 17. Februar 2012 war verspätet. Das Gericht trat deshalb auf die Anfechtungsbegehren der Mieterin gar nicht ein.
Fazit
Der Vermieter tut gut daran, bei einer Kündigung das jeweils gültige Formular zu verwenden. Bei Verwendung eines ausser Kraft gesetzten Formulars ist die Kündigung nur ausnahmsweise gültig. Der Mieter muss zudem darauf achten, dass die Anfechtungsfrist von 30 Tagen nicht mit der effektiven Kenntnisnahme beginnt, sondern allenfalls schon vorher, nämlich bereits mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme.