Wer sich als Hauptaktionär eines Unternehmens nur einen kleinen Lohn, dafür aber eine hohe Dividende auszahlt, kann von der AHVAusgleichskasse nur dann zur Kasse gebeten werden, wenn ein krasses Missverhältnis vorliegt. Gemäss einem Bundesgerichtsentscheid vom 5. Juni 2008 bemisst sich die Angemessenheit der Dividende am effektiven Wert des Unternehmens und nicht am Aktienkapital.
Die Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden forderte von einer Aktiengesellschaft (Holdinggesellschaft) eine Nachzahlung für die Jahre 2002 bis 2005 über CHF 50’052 mit der Begründung, dass ein Teil der vom VR-Präsidenten bezogenen Dividenden als Lohn zu deklarieren sei. Der in den Jahren 2002 bis 2004 mit 29,77 % am Unternehmen beteiligte Aktionär und Geschäftsführer hatte sich in diesen Jahren ein Bruttogehalt von je CHF 32’103 und eine Dividende von je CHF 134‘000 auszahlen lassen. Im Jahr 2005 hatte der Unternehmer seinen Aktienanteil auf 48,44 % aufgestockt und ein Bruttogehalt von CHF 31’932 bezogen. Der Dividendenbezug stieg demgegenüber auf neu CHF 340‘000. Das AHV-Gesetz sieht vor, dass auf dem Erwerbseinkommen (nicht aber auf dem Vermögensertrag) AHV-Beiträge geschuldet sind. Besteht ein offensichtliches Missverhältnis, kann die Ausgleichskasse eingreifen. Dividenden sind grundsätzlich beitragsfreier Vermögensertrag. Richtet eine Aktiengesellschaft Leistungen an Arbeitnehmer aus, die gleichzeitig Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte sind oder Inhabern solcher Rechte nahe stehen, erhebt sich bei der Festsetzung sowohl der direkten Steuer als auch der Sozialversicherungsbeiträge die Frage, ob und inwieweit es sich um Arbeitsentgelt (massgebenden Lohn) oder aber um Gewinnausschüttung (Kapitalertrag) handelt. Die AHV-Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden hat eine Praxis entwickelt, wonach die Dividendenzahlung, das deklarierte AHV-Einkommen und ein branchenübliches Gehalt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Soweit die Dividende eine 15 %-ige Verzinsung des Aktienkapitals übersteigt, wird sie als massgebender Lohn betrachtet, dies jedoch nur bis zur Höhe eines durchschnittlichen Gehalts, das aufgrund von Standardwerten bestimmt wird.
Das BSV führt in seiner Vernehmlassung aus, es beabsichtige im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform II diese Nidwaldner Praxis in die Wegleitung über den massgebenden Lohn (WML) aufzunehmen. In den Mitteilungen Nr. 219 an die AHV-Ausgleichkassen und EL-Durchführungsstellen vom 31. März 2008 hat das BSV zudem diese Praxis ab sofort sinngemäss in Geltung gesetzt.
Die Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden ist in vorliegendem Fall von einem branchenüblichen Jahreseinkommen von CHF 120‘000 ausgegangen und hat für die darüber liegende Summe AHV-Beiträge veranlagt. Das BSV hat die Rechnung aber ohne die II. Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts gemacht. Laut dem Urteil aus Luzern ist die Nidwaldner Praxis insofern gesetzeswidrig, als sie die Angemessenheit der Dividende im Verhältnis zum Aktienkapital bemisst. Die Richter erinnern daran, dass der Ertrag auf dem Vermögen beitragsfrei ist und dass zum Vermögen bei einem Selbständigerwerbenden auch das im Betrieb investierte Eigenkapital gehört. Bei einer Aktiengesellschaft umfasst das Eigenkapital nicht nur das Aktienkapital, sondern auch die offenen und stillen Reserven, erklärt das Gericht (völlig zu Recht!). Die Angemessenheit des beitragsfreien Vermögensertrags ist daher laut dem Grundsatzurteil nicht in Relation zum Nennwert, sondern zum effektiven wirtschaftlichen Wert der Aktien zu beurteilen.
Der Steuerwert des Unternehmens beträgt im konkreten Fall CHF 19 Mio. und basiert auf einer Bewertungsmeldung der kantonalen Steuerverwaltung. Bei einer Beteiligung von knapp 50 % und einer Dividende von CHF 340‘000 errechnet sich für das Jahr 2005 ein Vermögensertrag von 3,6 %. Für die Jahre 2002 bis 2004 sogar lediglich ein solcher in Höhe von 2,3 % (Dividende CHF 134‘000 und Aktienanteil von knapp 30 %). „Solche Vermögenserträge können offensichtlich nicht als unangemessen hoch bezeichnet werden“, schreibt das Bundesgericht. „Die Aufrechnung als massgebender Lohn erfolgte daher zu Unrecht.“. Das Unternehmen muss daher für die Auszahlung der Dividende keine AHV-Beiträge abführen.
www.bger.ch, Urteil: 9C 107/2008 vom 05.06.2008