Gleich nahtlos im Anschluss an den letzten juristischen Advisor- Beitrag zum Bonus- und Malussystem der UBS folgt heute eine in die gleiche Richtung zielende, aber grundsätzlichere Diskussion über die Ausrichtung bzw. die Zweckverfolgung in einer (börsenkotierten) Unternehmung. Dass in ihr verschiedene Beteiligte mit zum Teil gleichlaufenden, aber auch gegensätzlichen Interessen zusammenwirken, ist bereits im erwähnten Artikel gesagt worden. So ist etwa der Aktionär (bzw. Investor) interessiert an einer möglichst hohen Rentabilität seiner Anlage, der Mitarbeiter an einem gut bezahlten und sicheren Arbeitsplatz, der Lieferant an einem zuverlässigen Abnehmer zu guten Konditionen, der Kunde an qualitativ hoch stehenden Produkten zu einem interessanten Preis, der Staat an einem sicheren Arbeitgeber und guten Steuerzahler etc. Die Interessengegensätze treten insbesondere bei Fehlentwicklungen (übertriebene Vergütungen ans Management), besonders stossenden Auswirkungen (Stellenabbau führt zu Kursfeuerwerk an der Börse) oder in Krisenzeiten (Staatsbeteiligung an der UBS aus Anlass der derzeitigen Finanzkrise) in den Vordergrund. Grund genug somit, um diesen Bereich und insbesondere seine rechtliche Abbildung im schweizerischen Recht im Advisor kurz zu beleuchten.
Beim Shareholder-Value-Ansatz wird (im Falle einer AG) als eigentliches Unternehmensziel die konsequente und ausschliessliche Ausrichtung auf den Aktionärsnutzen verstanden. Gerechtfertigt wird dies mit der wirtschaftlichen Eigentümerstellung der Aktionäre, aber auch damit, dass letztendlich von einer prosperierenden Unternehmung alle profitieren würden. Der Stakeholder- Value-Ansatz erachtet dies als einseitig und egoistisch, da allein die Interessen einer der vielen (oben genannten) Anspruchsgruppen berücksichtigt würden. Postuliert wird hier vielmehr bei der unternehmerischen Tätigkeit die Berücksichtigung aller Gruppen, welche am Unternehmen ein legitimes Interesse haben.
Im Aktienrecht zunächst sicher nicht zu finden ist die Verpflichtung einer Unternehmung, vordergründig für das Allgemeinwohl tätig zu sein. Das Endziel einer Aktiengesellschaft ist letztendlich in jedem Fall, Gewinn zu erwirtschaften. Eine andere Zielsetzung ist nur ausnahmsweise vorgesehen (Art. 620 Abs. 3 OR). Wird in einer GV die Aufhebung der Gewinnstrebigkeit beschlossen, kann jeder einzelne Aktionär diesen Beschluss anfechten (Art. 706 Abs. 2 Z. 4 OR). Allerdings hat der Gesetzgeber klar gemacht, dass ihm eine langfristige, nachhaltige Geschäftsstrategie und -politik vorschwebt (z.B. Pflicht zur Reservenbildung, Art. 669 Abs. 3, 674 Abs. 2 OR). Ein plausibler und verbreiteter Lösungsansatz für den Widerstreit zwischen Shareholder-Value- und Stakeholder- Value-Ansatz ist die Ausrichtung auf das Unternehmensinteresse – und nicht etwa das Aktionärsinteresse. So hat das Bundesgericht schon immer dem Schutz des Unternehmens an sich einen hohen Stellenwert eingeräumt. Der Mehrheitsgedanke (von Aktionären, aber auch von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Umfeld, der Umwelt etc.) steht dabei stets klar über jenem der kurzfristigen Gewinnmaximierung zum Vorteil weniger. Dieser Ausrichtung des Rechts auf das Unternehmensinteresse kann nur zugestimmt werden, entspricht sie doch auch den im schweizerischen Recht gemeinhin verankerten Rechtsgrundsätzen wie Treu und Glauben etc. Diese Richtung findet ihre Fortsetzung auch im – den Anleger stets interessierenden, und immer mehr regulierten – Kapitalmarktrecht, wo in der Richtung Corporate Governance mit Transparenz-, Missbrauchsvorschriften etc. immer mehr auch die Interessen der Allgemeinheit, des Marktes, der (oft gesichtslosen) Anlegerschaft und so weiter berücksichtigt werden. Dass dadurch letztlich auch der Aktionär als Investor vor den Machenschaften des Verwaltungsrates bzw. des Managements geschützt wird, sei hier ganz am Schluss erwähnt.
Nahe liegt, dass der Investor auf kurze Sicht bei einem diversifizierten Portefeuille vor allem an einer maximalen Rendite seiner Anlage interessiert ist. Trotzdem kann ihm wohl ohne weiteres soviel Weitsicht und Verantwortung zugetraut werden, dass er im Rahmen seiner Rolle als Organ der Gesellschaft daneben auch zur Schaffung eines langfristigen Mehrwerts in einem Unternehmen zum Wohle aller Anspruchsberechtigten beitragen will.