Wer ein Grundstück kauft, übernimmt meist auch Wegrechte. Im Kaufvertrag wird darauf hingewiesen. Die Belege, mit welchen diese Wegrechte begründet werden, sind kaum je wörtlich erwähnt. Meist steht im Kaufvertrag nur, dass die Parteien die Belege gelesen haben und sie ihnen bekannt sind, obwohl dies oft gerade nicht der Fall ist. Zu Streit kommt es dann, wenn die tatsächliche Ausübung des Wegrechts mit der vertraglich vorgesehenen Ausübung nicht übereinstimmt. Diesen Fragen musste kürzlich das Bundesgericht im Urteil vom 1. April 2011 (5A_60/2011) nachgehen.
I. Ausgangslage
Der Fall spielte sich im Kanton Bern ab. Mit Vertrag aus dem Jahre 1952 wurde zwischen mehreren Parzellen ein Wegrecht begründet, wobei der Verlauf in einem Plan mit gelber Farbe festgehalten wurde. Im Grundbuch wurde die Dienstbarkeit mit dem Stichwort „Wegrecht“ auf den betroffenen Parzellen als Recht bzw. als Last eingetragen. In den Siebzigerjahren wurden die Parzellen neu überbaut. Dabei wurde der bisherige Weg verschoben und in einen Tunnel verlegt. Der Weg befand sich seither auf einer Parzelle (Nr. 44). Die Änderung des Wegverlaufes wurde weder schriftlich vereinbart noch im Grundbuch eingetragen. Im Jahr 2008 erwarb die eine Partei des Verfahrens die Parzelle Nr. 2477. Auf dieser Parzelle steht ein Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage. Die Tiefgarage ist nur über den Tunnel erschliessbar. Diese Partei verlangte nun die Wiederherstellung des vertraglich im Grundbuch eingetragenen Wegrechtes aus dem Jahre 1952.
II. Wirkung des Grundbucheintrages
Grundbuchwirkungen
Das Gesetz regelt die Wirkung des Grundbucheintrages gegenüber gutgläubigen Erwerbern. Wer sich in gutem Glauben auf einen Grundbucheintrag verlassen und daraufhin Eigentum oder andere dingliche Rechte erworben hat, ist in diesem guten Glauben zu schützen (Art. 973 abs. 1 ZGB). Der gute Glauben ist zu vermuten (Art. 3 Abs. 1 ZGB). Aus diesem Grundsatz folgt erstens, dass der Inhalt des Grundbuchs grundsätzlich als richtig fingiert wird (positive Publizität), und zweitens, dass die Grundbucheinträge als vollständig gelten (negative Publizität).
Grenzen des Gutglaubensschutzes
Der gute Glauben ist aber nicht absolut geschützt. Gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB kann sich derjenige nicht auf den guten Glauben berufen, der bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein kann. Liegen besondere Umstände vor, welche Zweifel an der Genauigkeit des Grundbucheintrags aufkommen lassen, muss der Erwerber nähere Erkundigungen einziehen. Entscheidend für dieses Urteil, ob eine Erkundigungspflicht besteht und was ihr Ergebnis gewesen wäre, sind alle Umstände des konkreten Einzelfalles.
Die natürliche Publizität im Besonderen
Den guten Glauben des Erwerbers kann vor allem die natürliche Publizität zerstören. Sie besteht darin, dass der Rechtsbestand im physischen Zustand der Liegenschaft nach aussen sichtbar in Erscheinung tritt. So muss sich der Erwerber ein Rechtsverhältnis, das ihm auf dem Grundstück selber durch seine eindeutige äussere Erscheinung entgegentritt, entgegenhalten lassen. Er muss das sichtbare wirkliche Rechtsverhältnis nicht tatsächlich wahrgenommen haben. Es genügt, dass er es hätte wahrnehmen können und müssen, wenn er mit der im Verkehr gebotenen Sorgfalt vorgegangen wäre.
Bedeutung baulicher Anlagen
Wo die Ausübung einer Dienstbarkeit bauliche Anlagen erforderlich machen, geben diese in der Regel auch den Inhalt und den Umfang der Dienstbarkeit wider. Der Erwerber muss sich mit voller Wirkung entgegenhalten lassen, was sich aus der Lage und der nach aussen in Erscheinung tretenden Beschaffenheit des Grundstücks ergibt. Wird der Inhalt und der Umfang eines Wegrechts durch die örtlichen Gegebenheiten für jedermann sichtbar bestimmt, ist dieser äussere Rechtszustand massgeblich und nicht irgend ein Grundbuchbeleg.
III. Anwendung auf den zu entscheidenden Fall
Das Wegrecht war im vorliegenden Fall durch die Tunnelanlage örtlich für jedermann einsehbar. Das musste sich auch der Erwerber entgegenhalten lassen. Er konnte sich deshalb nicht auf den Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahre 1952 berufen und die Änderung des Wegrechtes fordern.
IV. Fazit
Wer ein Grundstück kauft, sollte vor der Unterzeichnung den Dienstbarkeiten genügend Aufmerksamkeit schenken. Zunächst wird von ihm gefordert, dass er die tatsächlichen Umstände ermittelt, am besten durch eine eigene Besichtigung. Zudem müssen unbedingt die Grundbuchbelege herausgefordert und studiert werden. Differenzen dieser Belege gegenüber dem tatsächlichen Zustand sind zu bereinigen. Gerade wenn Dienstbarkeiten äusserlich über Bauten oder Anlagen in Erscheinung treten, nützen die Belege wenig. Der gute Glaube in sie wird nicht geschützt.